Mai 2022

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Geschickt geregelt: Whistleblower-Vereinbarung

Drauf gepfiffen

Die EU hat eine Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern erlassen, die aber vom Bundestag noch nicht umgesetzt wurde. Das Kunststoffunternehmen ­Polytec kümmert sich trotzdem schon um eine vernünftige Lösung. Dort hat der Betriebsrat bereits eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet.

Die Europäische Union (EU) schützt Whistleblower schon seit 2019. Laut der EU-Richtlinie dürfen sie weder gekündigt, versetzt noch abgemahnt werden. Bis Ende 2021 hatten die Mitgliedsländer Zeit, das neue Regelwerk in eigenen Gesetzen zu verankern. In Deutschland ist das bis heute nicht passiert. Ein erster Gesetzentwurf ist in Arbeit. Die Vorgaben aus Brüssel sehen vor, dass Unternehmen ab einer bestimmten Größe sogenannte Hinweisgebersysteme implementieren müssen, über die Beschäftigte Verstöße melden dürfen.
Gemeldet werden können beispielweise kriminelle Machenschaften, die das öffentliche Auftragswesen, Finanzdienstleistungen, Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung, Umweltschutz, Privatsphäre oder Netz- und Informationssysteme betreffen. Wenn also Beschäftigte den begründeten Verdacht hegen, dass ihr Betrieb illegal Schadstoffe in einen See ablässt, können sie ihre Beobachtungen melden.

Wichtig: Kleinere allgemeine Verstöße gegen unternehmensinterne Verhaltensregeln können nicht über das elektronische System gemeldet werden. „Salopp ausgedrückt: Beschwerden über zurückgelassenes, schmutziges Geschirr im Pausenraum finden dort keinen Platz“, sagt Thomas Veith, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei Polytec am Standort in Kraichtal-Gochsheim. Mit weltweit rund 3.600 Beschäftigten gehört Polytec zu den führenden Unternehmen in der Entwicklung und Herstellung von hochwertigen Kunststofflösungen.

Der Whistleblower-Schutz solle laut Veith andererseits auch nicht das Recht der Beschäftigten schmälern, sich über Alltägliches zu beschweren oder Anfragen und Wünsche beim Betriebsrat vorzubringen. „Das sind zwei verschiedene paar Schuh. Kriminelle Dinge auf der einen Seite und klassisches Beschwerdemanagement auf der anderen.“

Beim Whistleblowing geht es um die Meldung von gravierenden Missständen oder verbotenen Handlungen im Wirkungsbereich eines Unternehmens. Dazu -gehören weder Anschuldigungen, Anschwärzen oder Diffamierungen. Whistleblower weisen vielmehr auf -grobe Ungerechtigkeiten oder -illegale Handlungen hin.

Während man in Berlin noch über dem Gesetzentwurf brütet, wurde bei Polytec schon acht Wochen vor dem Jahreswechsel gehandelt. Weil die Rechtsabteilung die Einführung der neuen EU-Richtlinien auf dem Schirm hatte, holte sie frühzeitig auch den Betriebsrat mit an Bord. Gemeinsam erarbeiteten die Betriebsparteien eine Betriebsvereinbarung, die unabhängig von der deutschen Gesetzeslage Bestand haben soll. Einen konkreten Whistleblowing-Vorfall gab es bei Polytec nicht. „Es ist aber richtig und wichtig, dass die Angelegenheit jetzt international Beachtung findet und die Rolle derjenigen geschützt wird, die auf Fehlverhalten anderer hinweisen“, sagt Ali Sahin, Betriebsratsvorsitzender bei Polytec in Kraichtal-Gochsheim.

Will jemand bei Polytec jetzt auf einen Missstand hinweisen, kann er oder sie im Intranet einen anonymen elektronischen Postkasten einrichten, über den die weitere Kommunikation laufen soll. Der Postkasten ist über eine dem Hinweisgeber bei der Meldung erteilte Referenznummer so geschützt, dass nur der Hinweisgeber und die Bearbeiter darauf zugreifen können. „Wir wollen sicherstellen, dass alle Parteien ausreichend vor Denunziation geschützt werden“, erklärt Sahin. Kommt es in Folge einer Meldung zu einer internen Untersuchung, soll der involvierte Personenkreis möglichst klein gehalten werden. Neben der Geschäftsführung wird der oder die jeweilige Vorgesetzte, die Personalabteilung, der Betriebsrat und gegebenenfalls die Werksleitung informiert. Auch Beschuldigte werden durch ihre Vorgesetzten über die Existenz und den Inhalt der Meldung schriftlich informiert. Besteht allerdings die begründete Gefahr, dass im Falle der Benachrichtigung von Beschuldigten die Sachlage nicht ausreichend ermittelt werden kann, werden sie erst nach Abschluss der Untersuchungen informiert.

„Damit wollen wir sicherstellen, dass neben dem Datenschutz auch der ordentliche Umgang untereinander gewahrt wird“, sagt Sahin. So sei für alle Beteiligten klar, woran sie im Fall der Fälle seien und was sie zu erwarten hätten. „Mitbestimmung lebt auch davon, dass wir alle gemeinsam offen gegenüber neuen Entwicklungen sind und dann auch möglichst fair sowie transparent damit umgehen.“

Leo Kölzer